Für die politische Klasse Deutschlands ist die Unterstützung des israelischen Völkermords reines Eigeninteresse Jürgen Mackert

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Für die politische Klasse Deutschlands ist die Unterstützung des israelischen Völkermords reines Eigeninteresse

 

Jürgen Mackert

3. Januar 2025

Viele deutsche Unternehmen und Institutionen sind eng mit Israel verbunden. Jede Änderung der Unterstützung für die Vernichtung der Palästinenser würde zu Gewinneinbußen und Einflussverlust führen

Demonstranten halten ein Plakat während einer pro-palästinensischen Protestkundgebung in Berlin am 19. Oktober 2024 (AFP)

Seit der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen hat und Amnesty International Ende letzten Jahres einen Bericht über den Völkermord Israels in Gaza veröffentlicht hat, sind die Pressekonferenzen der deutschen Regierung zu einem Spektakel geworden.

Im November, als ein Regierungssprecher nach dem Urteil des IStGH gefragt wurde, wich er aus, sagte den Journalisten aber schließlich, dass er „Schwierigkeiten habe, sich vorzustellen, dass wir in Deutschland auf dieser Grundlage Verhaftungen vornehmen würden“.

Im darauffolgenden Monat, als deutsche Sprecher nach dem Amnesty-Bericht gefragt wurden, waren sie ähnlich ausweichend, wobei einer schließlich erklärte, dass Israel handele, um sich vor der Hamas zu verteidigen.

Deutschland will offenbar weder seinen Verpflichtungen als Unterzeichner des Römischen Statuts des IStGH nachkommen, noch will es den gut dokumentierten Völkermord am Volk der Palästinenser beim Namen nennen.

Die deutsche Regierung hat nie damit gerechnet, dass der IStGH dieses Urteil fällen würde, und da das Gericht nicht mehr ausschließlich als Instrument westlicher Interessen fungiert, sucht der Staat verzweifelt nach einem Ausweg.

 

Die Maske des selbsternannten loyalen und unerschütterlichen Verteidigers der angeblich universellen Werte von Gerechtigkeit und Menschenrechten ist gefallen. Deutschland, das immer gerne andere über diese Werte und die besondere Bedeutung des Völkerrechts aufklärt, zeigt eine scheinheilige, wenn nicht gar zynische Haltung gegenüber eben diesem Recht und dem IStGH.

Nicht einmal ein Urteil des IStGH oder die umfassend dokumentierten völkermörderischen Verbrechen des zionistischen Siedler-Kolonial-Apartheid-Regimes können Deutschland davon abhalten, seiner üblichen Strategie der Verleugnung und Ablehnung zu folgen.

Kein Dilemma

Seit Jahrzehnten verteidigt Deutschland die illegalen Siedlungen Israels im besetzten Westjordanland und leugnet die ethnische Säuberung Palästinas, die seit der Nakba nicht aufgehört hat. Fakten zu leugnen, indem man wegschaut, ist eine Sache; gut recherchierte Berichte der weltweit angesehensten Menschenrechtsgruppen über israelische Apartheid und Völkermord abzulehnen – was Deutschland im Laufe der Jahre wiederholt getan hat – ist eine ganz andere.

Mit der Ablehnung sowohl des jüngsten Amnesty-Berichts als auch des nicht weniger berühmten Berichts von Human Rights Watch, die längst überfällige Bestätigungen dafür sind, dass Israel im Gazastreifen einen Völkermord begeht, hat die Leugnung dieser Gräueltaten durch Deutschland einen neuen Höhepunkt erreicht.

Wir können mit Fug und Recht befürchten, dass Deutschland früher oder später etwas in dieser Art erklären wird: „Aufgrund der deutschen Geschichte befindet sich das Land in einem unlösbaren Dilemma: Leider kann es der Entscheidung des IStGH nicht folgen. Das Land hat eine besondere Verpflichtung gegenüber dem zionistischen Regime und Deutschlands „Staatsräson“ – die Sicherheit Israels – macht es dem Land unmöglich, seinen Verpflichtungen gegenüber dem IStGH nachzukommen.“

In Wirklichkeit befindet sich Deutschland jedoch überhaupt nicht in einem Dilemma; ein solches Dilemma könnte nur zwischen zwei gleich wichtigen Handlungsimperativen bestehen. In diesem Fall ist das Urteil des IStGH jedoch das einzige Handlungsimperativ, das eine verbindliche rechtliche Verpflichtung darstellt.

Niemand kann mehr an das Märchen von der moralischen Verantwortung Deutschlands glauben, da das Land den Völkermord an den Palästinensern verteidigt, finanziert, bewaffnet und unterstützt.

Deutschlands angeblicher „Staatsgrundsatz“ ist dagegen nichts weiter als eine Schimäre – ein moralisch überhöhter, quasi-religiöser Götze, an den die ganze Welt glauben soll und der die uneingeschränkte Unterstützung des Staates für Israel rechtfertigen und legitimieren soll. Diese durchsichtige Strategie soll die Welt und insbesondere die Deutschen glauben machen, dass das Land eine „moralische Verpflichtung“ hat, sich auf die Seite des zionistischen Regimes zu stellen, und so seine wahren geopolitischen, wirtschaftlichen, militärischen und finanziellen Interessen verschleiern.

Die Behauptung, aus moralischen Gründen „alternativlos“ zu handeln, während man Verbrechen des zionistischen Regimes unterstützt und rechtfertigt, war jahrzehntelang eine Politik, die für Deutschland einen guten Beitrag geleistet hat. Doch nach 16 Monaten des Völkermords in Gaza hat sich die Situation geändert.

Niemand kann mehr an das Märchen von der moralischen Verantwortung Deutschlands glauben, da das Land den Völkermord an den Palästinensern verteidigt, finanziert, bewaffnet und diplomatisch unterstützt, zusätzlich zu den Bombenangriffen auf den Libanon, den Jemen und Syrien, während es die Verantwortlichen vor der Rechenschaftspflicht schützt.

Die Berufung auf die „Staatsräson“ Deutschlands entbindet das Land nicht von seiner bindenden Verpflichtung gegenüber dem IStGH. Vielmehr ist es nur ein trauriges Schauspiel, das die Welt und insbesondere das palästinensische Volk schon viel zu lange ertragen müssen.

Grundlagen gelegt

Als die ehemalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel 2008 bekannt gab, dass die Sicherheit Israels Deutschlands „Staatsräson“ sei, versuchte sie, aus der Unterwerfung unter das rassistische Siedler-Kolonial-Apartheid-Regime eine quasi-religiöse Weihe für Deutschland abzuleiten und damit einer jahrzehntelangen Politik der bedingungslosen Unterstützung des zionistischen Regimes mehr Legitimität zu verleihen. Ihr moralisch und ideologisch aufgeladenes Verständnis des Begriffs richtete sich an vier spezifische Zielgruppen.

Erstens wollte Merkel der Weltöffentlichkeit den vorbildlichen Charakter Deutschlands zeigen und es als ein Land darstellen, das aus seiner Geschichte gelernt hatte und Israel auf ewig zur Seite stehen würde, komme, was wolle. Diese Ankündigung legte den Grundstein für alle nachfolgenden Leugnungen und Ablehnungen der Verbrechen Israels.

Zweitens signalisierte sie Israel, das gerade erst mit der Belagerung des Gazastreifens begonnen hatte, dass es freie Hand habe, mit dem palästinensischen Volk zu verfahren, wie es wolle, und dabei uneingeschränkte Unterstützung erhalte. So unterstützte Deutschland die Kriege Israels gegen Gaza in den Jahren 2008–2009, 2012, 2014 und 2021.

https://www.youtube.com/watch?v=zGbPVrIWCys

Drittens machte Merkel dem palästinensischen Volk unmissverständlich klar, dass es von Deutschland nichts erwarten könne. Sie wurden mit leeren Worten über Menschenrechte, vorgetäuschtem Bedauern über ihre „humanitäre Lage“ und verlogenen Reden über eine „Zweistaatenlösung“ abgespeist, während Deutschland die Augen vor illegalen zionistischen Siedlungen und Landraub in Palästina verschloss.

Schließlich sollten die deutschen Bürger verstehen, dass es von nun an „keine Alternative“ zur bedingungslosen Unterstützung Israels gebe.

Von diesem Zeitpunkt an bis heute, als der Bundestag im vergangenen November die Resolution „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ verabschiedete, die sich auf die umstrittene Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance stützt, haben wir eine fortschreitende Unterwerfung der Demokratie unter die Bedürfnisse des zionistischen Regimes erlebt, einhergehend mit einer zunehmenden Verleumdung seiner Kritiker mit Antisemitismusvorwürfen.

Logik der Auslöschung

Indem Deutschland Kritik an Israels Politik des Krieges, der Folter und des Völkermords unterdrückt und kriminalisiert, hat es sich der zerstörerischen, siedlerkolonialen Logik der Auslöschung ergeben: Die deutsche Demokratie muss sich heute den Konturen des Zionismus anpassen. Merkels Bemühungen, die deutsche Demokratie marktkonform und zionismuskonform zu machen, waren ihre größten Erfolge bei der Zerstörung einer ganzen Reihe von Grundrechten deutscher Bürger.

Für die politische Klasse, die Mainstream-Medien und die wichtigsten Institutionen Deutschlands ergibt sich die „Würde“ des Landes aus der uneingeschränkten Unterstützung der Vernichtung des palästinensischen Volkes durch Israel und der Unterdrückung jeglicher abweichender Meinungen im Land. Was für eine erbärmliche „Staatsräson“ ist das für ein Land mit einer eigenen genozidalen, siedlerkolonialistischen und faschistischen Vergangenheit?

Das ist keine Holocaust-Schuld – es ist die tief verwurzelte rassistische Überlegenheit der Deutschen

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Anstatt endlos über die „moralische Verpflichtung“ Deutschlands gegenüber dem zionistischen Regime zu reden, sollten wir uns stattdessen auf die nackten Interessen des Staates konzentrieren. Viele deutsche Banken, Versicherungsunternehmen, Investoren, Forschungseinrichtungen, Universitäten und Rüstungsfirmen sind so eng mit Israel verbunden, dass jede Änderung der deutschen Politik unweigerlich zu Verlusten an Märkten, Gewinnen und wichtigem Wissen führen würde.

Es besteht die Befürchtung, das palästinensische Labor zu verlieren, von dem Deutschland in Zeiten des Neoliberalismus so viel lernt – von Überwachungstechnologie über Bevölkerungsmanagement bis hin zu Drohnen- und KI-Kriegsführung.

Deutschland interessiert sich dafür, was die siedlerkoloniale Logik der Auslöschung der indigenen palästinensischen Bevölkerung im Laufe der Jahrzehnte hervorgebracht hat, während der Neoliberalismus fortschreitet und ständig neue überflüssige Massen hervorbringt, die kontrolliert werden müssen. Die Techniken, um dies zu erreichen, stammen aus Israels jahrzehntelanger Unterdrückung des palästinensischen Volkes.

Der Schutz dieser Interessen ist die eigentliche deutsche „Staatsräson“, die sich hinter dem ideologischen Schleier einer angeblichen historischen Verantwortung für ein völkermörderisches Regime verbirgt.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten gehören dem Autor und spiegeln nicht unbedingt die redaktionelle Politik von Middle East Eye wider.

Jürgen Mackert ist Professor für Soziologie an der Universität Potsdam, Deutschland. Er war Vertretungsprofessor für die Struktur moderner Gesellschaften an der Universität Erfurt und Gastprofessor für Politische Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen neuesten Büchern gehören „On Social Closure. Theorizing Exclusion, Exploitation, and Elimination“ (Oxford University Press 2024) und „Siedlerkolonialismus. Grundlagentexte und aktuelle Analysen“ (hrsg. mit Ilan Pappe; Nomos 2024).

Übersetzt mit Deepl.com

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