Gewandelte Weltlage Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen heute auf Overton-Magazin erschienenen Kommentar, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

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Gewandelte Weltlage

Netanjahu und Trump im Weißen Haus im Februar 2025. Bild: Weißes Haus

Im Oval Office des Weißen Hauses kam es diese Woche zum GAU zwischen dem US-amerikanischen und dem ukrainischen Präsidenten. Er ist symptomatisch für eine veränderte Weltlage.

 

Für Hegel war der Staat eine einigend wirkende Entität. Er galt ihm als über den politischen Parteiungen und gesellschaftlichen Gegensätzen stehend; darin sah er sein wohl nicht nur philosophisches Ideal. Marx wollte ihn nicht zuletzt darin korrigieren, und auch wir sind heute schon einigermaßen ernüchtert, was die Erfüllung dieser Funktion des Staates anbelangt.

Aber eines hat Hegel erkannt, das bis zur Gegenwart seine Gültigkeit bewahrt hat: Es gibt bis heute keine internationale Instanz, die die Antagonismen zwischen den Staaten verpflichtend zu regeln vermag – die Nationalstaaten befinden sich, so besehen, noch immer im “Naturzustand”, wie ihn Hobbes suggestiv in seinem epochalen Werk “Leviathan” beschrieben hat. Gewiss, es gab die Versuche des Völkerbunds und späterhin den der Vereinten Nationen. Aber der eine hat sich in Wohlgefallen aufgelöst, und der andere degeneriert heute in seiner zunehmend erbärmlichen Wirkungslosigkeit. Der Grund für letzteres ist die sich immer wieder manifestierende Willkür der Großmächte, welche zwar die Chimäre einer Verpflichtung auf die Beschlüsse der UNO lippenbekenntnishaft leisten, sich aber über diese hinwegsetzen, sobald sie ihren partikularen Interessen entgegenstehen. Wie Donald Trump zu den Vereinten Nationen steht und mit ihnen umzugehen gedenkt, ist ein Kapitel für sich. Es zeigt aber vor allem aufs deutlichste, wie man sich den Umgang der Staaten miteinander in absehbarer Zukunft vorzustellen hat.

Es kommt daher nicht von ungefähr, dass sich Trump die eklatante öffentliche Erniedrigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj diese Woche leisten konnte. Wer wollte ihm da etwas anhaben? Wenn er den Sturm auf das Kapitol initiieren und inszenieren durfte, wenn er sich herausnahm, nahezu sämtliche Biden-Beschlüsse innerhalb weniger Wochen zunichtezumachen, und wenn er meint, eine Riviera in Gaza nach der ethnischen Säuberung des Landstrichs von seinen palästinensischen Bewohnern visionieren zu können, dann ist es für ihn wahrhaft eine Kleinigkeit, ein eingeladenes Staatsoberhaupt, das von ihm total abhängig ist, anzurüffeln und schmachvoll zu beschämen. Mit Benimm hat dieser Mensch im Persönlichen nichts zu schaffen, und an der skandalösen Zertretung internationaler Umgangsformen und Spielregeln hat er offenbar einen infantilen Lustgewinn. Aber er ist nun einmal der gewählte Präsident einer großen Weltmacht; die “Achtung” vor ihm speist sich aus seinem Amtscharisma.

Und doch wirft das Debakel des Gipfeltreffens Trump-Selenskij Fragen auf, zumindest im Hinblick auf den bisher geführten Diskurs über den Russland-Ukraine-Krieg. In Deutschland redet man abfällig von “Putin-Verstehern”, die den Überfall Russlands auf die Ukraine primär aus der Bedrohung Russlands durch die Osterweiterung der NATO herzuleiten versuch(t)en. Nun stellt sich aber heraus, dass die von Trump geführte USA sich nicht nur von der NATO distanziert, sondern sich offenbar auf der Seite Putins stellt. Die Schuld an der Fortsetzung des Krieges wird dem ukrainischen Präsidenten zugeschoben.

Was ist los, wenn das herrschende Narrativ von einem Tag auf den anderen in ihr Gegenteil verkehrt wird?

Ungeachtet der Frage, ob diese spezifische geopolitische Analyse von Anbeginn gestimmt hat, muss man sich fragen, was es über die schiere Triftigkeit solcher Argumentationen besage, wenn die Ansicht über die herrschenden Strukturverhältnisse von einem Tag auf den anderen, mir nichts, dir nichts, in ihr Gegenteil umzukippen vermag. Gab es wirklich eine Bedrohung Russlands durch die NATO? Und wenn es sie gab, wieso konnte sie einfach so aufgehoben werden? Die irritierte Antwort darauf lautet: Trump, der Mann ist eben kapriziös. Ja, aber er ist auch der gewählte Präsident einer Weltmacht. Man kann sich doch nicht mit einer solchen Antwort begnügen.

Gerüchte über eine anrüchige Verbindung Trumps zu Moskau gab es schon im Vorfeld der US-Wahlen von 2016. Damals betrafen sie aber primär seine Geschäftsverbindungen in früheren Jahren, die auch mit Klatsch über Trumps (sexuelle) Eskapaden in der sowjetischen Hauptstadt angereichert waren. Ernster zu nehmen sind die Aussagen eines ehemaligen sowjetischen Geheimdienstmitarbeiters, der jüngst mit der Behauptung auftrat, Trump sei 1987 vom KGB rekrutiert worden, habe mithin unter den Codenamen “Krasnov” firmiert. Belegt werden könne dies nicht–  die Krasnov-Akte sei aus dem KGB-Archiv verschwunden. Trump selbst dementiert diese Anschuldigung.

Man kann natürlich anführen, dass der Meister von Konspirationstheorien der letzte sei, der einer solchen Konspirationsthese (wenn es denn nur eine ist) ihre Geltung absprechen dürfe. Mit Abwegigerem als sie ist er zum zweiten Mal US-Präsident geworden. Aber die Frage geht am Wesentlichen vorbei. Wenn es irgendwelche Affinitäten von Trump zu Putin gibt, die dazu führen, dass sich der US-Präsident auf der Seite des russischen Präsidenten auf Kosten des von diesem bekriegten Präsidenten der Ukraine stellt, der bis vor kurzem von der USA massivst unterstützt worden ist, dann kracht eine Menge zusammen von dem, womit man die Menschen seit Jahren überflutete und ideologisch zudröhnte. Die ganze Konfliktordnung stimmt nicht mehr, die Koordinaten sind völlig verschoben. Was ist noch von der “Achse des Bösen” übriggeblieben? Wieso vermittelt Trump Putin einen Triumph? Vor allem aber, wo bleibt Europa bei alledem?

Neue Stimmen im Diskurs mögen postulieren, dies alles sei nicht weiter schlimm, wenn der unselige Krieg zwischen Russland und der Ukraine an sein Ende gelangte. Der Zweck (Frieden) würde in diesem Fall die Mittel (Trumps brutale Perfidie) heiligen. Zwar müsste man sich dann über das Wesen dieses Friedens Gedanken machen angesichts der Tatsache, dass der von Trump personifizierte geopolitische Sinneswandel einige Staaten Europas in neuerliche Ängste um die eigene Sicherheit versetzt. Von Budgetmodifikation zugunsten von Aufrüstung und militärischer Neuorientierung ist bereits verschiedentlich die Rede. Gerade Bellizisten dürften sich an diesem neuen Frieden delektieren.

Dies geht über die perplexe Reaktion auf den Trump-Selenskij-Eklat im Weißen Haus bei weitem hinaus. Gewieft oder nicht ganz zurechnungsfähig, brutal oder “brillanter” Taktiker – der Mann an der US-Spitze, von dem man nicht mit Sicherheit weiß, ob er KGB-Agent war oder nicht (das ist es eben: absurd scheint bei ihm nichts), mischt die Weltordnung auf, ohne dass irgendjemand zu sagen vermöchte, wohin dieser neue Weltzustand führt.

Hitler-Stalin-Nichtangriffspakt

Jenen, die dennoch zu wissen meinen, dass es einen dermaßen binären Sinneswandel gar nicht geben kann, sei der Hitler-Stalin-Nichtangriffspakt von August 1939 in Erinnerung gerufen. Der Vertrag ging bekanntlich mit dem Überfall des Nazireichs auf die Sowjetunion im Juni 1941 zu Ende. Viele Linke (und gerade die Kommunisten unter ihnen) waren 1939 über die schiere Abmachung schockiert. Späterhin hat man die Einwilligung Stalins in den Pakt damit erklärt, dass er Zeit gewinnen wollte für die Vorbereitung der Roten Armee auf den bevorstehenden Krieg.

Da wird etwas dran gewesen sein. Aber das politisch Bewusstsein der Zeitgenossen wurde hin- und hergerissen. 1938 entstand der sowjetische Historienfilm “Alexander Newski”, ein Meisterwerk des Regisseurs Sergei Eisenstein. Der Film behandelte die Invasion Russlands im Jahre 1242 durch die Streitmacht des Deutschen Ordens. Dem Nowgoroder Fürsten Alexander Newski gelingt es, seine Landsleute zum patriotischen Widerstand zu motivieren und in der Schlacht auf dem vereisten Peipussee die deutschen Ordensritter vernichtend zu schlagen. Der Film war 1938 durchaus als Propagandafilm gegen die Deutschen und eine bevorstehende deutsche Invasion angedacht und erzielte entsprechenden Erfolg.

Aber nach dem Beschluss des Hitler-Stalin-Pakts wurde seine Aufführung in der Sowjetunion untersagt. Zu neuen Ehren gelangte er nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Auf Stalins Anordnung wurde er nunmehr in jedem sowjetischen Kino gezeigt, nicht zuletzt auch in Frontaufführungen als Beitrag zur Motivation der gegen die deutsche Wehrmacht kämpfenden Truppen der Roten Armee. Einen historischen Moment lang war Nazideutschland ideologisches Hassobjekt der Russen, das dann zum Vertragspartner mutierte, um sich letztendlich zum ultimativen Feind zu verwandeln. Immerhin lag dieser “Inkonsistenz” eine zweckrationale Interessenmatrix zugrunde. Kann sie auch im Fall von Trump-Putin-Selenskij vorausgesetzt werden? Es ist zurzeit nicht ganz ersichtlich, was sie sein könnte, gemessen am Chaos, das Trumps Gebaren verursacht.

Wenn nicht Selenskij, sondern Netanjahu von Trump gedemütigt worden wäre

Wenn Trump als Friedensbringer anzusehen ist, was verschiedentlich von seinen Anhängern behauptet wird, wäre ein anderer Testfall dafür anzuvisieren, den der israelische Publizist Gideon Levy diese Woche in “Haaretz” zur Sprache gebracht hat. “In meinem Traum”, schrieb er, “hat vorgestern nicht Wolodymyr Selenskij im Oval Office des Weißen Hauses gesessen, sondern Benjamin Netanjahu. Donald Trump und sein Vize, JD Vance, gingen Netanjahu vor den laufenden Kameras der Welt grob an und sagten ihm, dass er mit seiner Weigerung, den Krieg zu beenden, einen dritten Weltkrieg riskiere: ‘Du musst dich dankbarer zeigen. Deine Leute sterben, und du sagst uns: ‘Ich will keinen Waffenstillstand’, wohingegen du dies und jenes willst. Wenn du jetzt einen Waffenstillstand kriegen kannst, akzeptierst du ihn, damit deine Leute nicht mehr sterben. Aber du willst keinen Waffenstillstand. Ich will einen. Du hast keine Karten. Mit uns hast du welche, ohne uns hast du nichts. Waffenstillstand oder wir sind draußen.”

Aber Levy ist realistisch genug, um zu wissen, dass diese Imagination nicht in Aussicht steht: “Der Traum ist ein Traum und das Schreckensszenario hat vorgestern nicht vor Netanjahu stattgefunden. Er wird wahrscheinlich auch nicht stattfinden, obwohl er dringend notwendig wäre.”

In der Tat kann man davon ausgehen, dass Trump mit Netanjahu nicht so umgehen würde, wenn auch hervorgehoben sei, dass er es durchaus verstanden hat, den israelischen Premierminister in Zugzwang zu setzen und ihm den Deal mit der Hamas gleichsam aufzuoktroyieren. Ebenso leicht hat er freilich auch schon wieder den Rückzieher gemacht und lässt Netanjahu (ganz im Sinne von  dessen Partikularinteressen) walten. Dieser versteht es auch, wie kaum ein anderer, ihn zu bauchpinseln und ihm die geforderte “Ehrerbietung” zu bezeugen. Auch dass er seinerzeit den “Fehler” begangen hat, Biden bei seinem Amtsantritt zu gratulieren, ist ihm inzwischen offenbar “verziehen” worden.

Allerdings wirken bei Trump im Fall Israels andere Faktoren als bei der Ukraine-Krise. Im Grunde lässt sich die (imaginierte) Analogisierung der beiden Trumpschen Rüffel-Szenarien von vornherein nicht aufrecht erhalten. Die eingefrorene amerikanische Militärhilfe für die Ukraine ist im Fall Israels zwar auch denkbar, aber wenig wahrscheinlich. Entsprechend hat der gedemütigte Selenskij den (rhetorischen) Canossagang bereits vollzogen. “Wir  schätzen wirklich alles, was die USA machen, um der Ukraine zu helfen, ihre Souveränität und Unabhängigkeit zu wahren”, sagte er kurz nach dem Erniedrigungsdebakel im Oval Office. “Wir erinnern uns an den Moment, an dem die Dinge eine Wende erfuhren, als Präsident Trump der Ukraine die Javelin-Raketen geliefert hat. Wir sind dankbar dafür.”

Von selbst verstehe es sich, fügte er hinzu, dass die Ukraine bereit sei, den Mineralien- und Sicherheitsvertrag “zu jeder Zeit und in jedem bequemen Format” zu unterschreiben. Der israelische Premier muss sich dem nicht unterziehen. Er weiß sehr genau, was sich dem macht-, ehre- und ehrerbietungsbesessenen Herrscher im Weißen Haus gegenüber gehört. Und die faschistisch gewandelte Weltlage kommt ihm – einem nicht minder macht- und herrschaftsüchtigen Politiker, der, wie der amerikanische Präsident, diktatorische Vollmachten erstrebt – ohnehin sehr zupass.

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