Israels Krieg gegen den Iran Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen neuen auf  Overton-Magazin veröffentlichten Artikel, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

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Israels Krieg gegen den Iran


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IDF-Stabschef Generalleutnant Eyal Zamir besuchte den Ort des Einschlags einer iranischen ballistischen Rakete in Bat Yam und sagte: „Wir führen hier einen Krieg, der uns keine Wahl lässt, und er wird in allen Dimensionen geführt. Wir sind entschlossen, unsere Missionen zu erfüllen, und alles, was uns aufgetragen wurde, werden wir auch erreichen.“ Bild und Text IDF

Warum hat Israel jetzt den Krieg gegen Iran initiiert? Was hat es mit der angeblichen Dringlichkeit auf sich?

Rogel Alpher, Fernsehkritiker der israelischen Tageszeitung “Haaretz”, hat am Dienstag, den 17.6., einen Text publiziert, in welchem er seinen LeserInnen zehn zu überdenkende Fragen anbietet. Es seien hier seine Fragen und Antworten stichwortartig wiedergegeben. Sie betreffen den Iran-Krieg, den Israel letztes Wochenende vom Zaun gebrochen hat.

Die israelische Bevölkerung durchlebt seither tägliche (und vor allem nächtliche) iranische Raketen- und Drohnenattacken von bislang nicht gekannter Vehemenz und Häufigkeit. Die Euphorie über die Anfangserfolge der israelischen Luftwaffe beim Überraschungsangriff auf den Iran ist bereits mit dem Gefühl der Ohnmacht, ja, teilweise auch des Ausgeliefertseins durchmischt. Es gab ja keine parlamentarische, geschweige denn eine öffentliche Debatte über diese Kriegsinitiative. Gerade deshalb sind die Fragen in Alphers teils satirisch anmutender Kolumne von großer Relevanz, die freilich momentan von den wenigsten in Israel so registriert wird. Denn wenn die Kanonen (wieder einmal) donnern… etc. pp.

Erste Frage: Sind wir jetzt einem iranischen Raketenangriff ausgesetzt, weil das der zu zahlende Preis ist für die Neutralisierung der Nuklearbedrohung ist? Antwort: Nein. Zweite Frage: Sind wir also dem iranischen Raketenangriff ausgesetzt, um der IDF zu ermöglichen, das iranische Nuklearprogramm um eine Zeitspanne von ca. zwei-drei Jahren zu verzögern, die diesen Preis rechtfertigt? Antwort: Nein. Die dritte Frage erkundigt sich nach dem Schaden, den die israelische Luftwaffe dem iranischen Nuklearprogramm zufügt. Antwort: Sie verzögert den potenziellen Bau einer Bombe um höchstens zwei bis drei Wochen. Alpher fragt dann nach: Und wenn die USA der Militäroperation beitreten? Antwort: Dann verzögert sich das Ziel der Bombenherstellung um zwei bis drei Monate.

Er geht dann der Frage nach, ob Irans Nuklearprojekt vor einer Militärattacke vollkommen geschützt sei. Antwort: Ja, weil seine empfindlichsten Teile tief unter der Erde vergraben sind, wo sie keine Waffe erreichen kann. Daraus ergibt sich die generelle Frage: Wie sind die Iraner an die Schwelle der Erzeugung einer Atombombe überhaupt gelangt? Antwort: Dank Netanjahu, der Trump im Jahr 2018 überzeugt hat, das Atomabkommen mit Iran zu verlassen. Kann es also sein, so die nächste Frage, dass das direkte Resultat der Nächte im Luftschutzbunker, der Zerstörung, der Angst und des Todes ein Nukleartest in der iranischen Wüste sein wird? Antwort: Absolut. Die Frage nach weiteren Optionen der Iraner beantwortet Alpher mit einem langen Abnutzungskrieg, dem sich Israel kaum wird entwinden können. Besteht aber die Option, das iranische Regime zu Fall zu bringen? Antwort: Nicht ohne die USA, und Trump wird nicht versuchen, die Isolationisten in seiner Partei in dieses Abenteuer zu zerren.

 Gibt es also überhaupt eine gute Alternative zu gegenwärtigen Operation? Die Antwort darauf lautet: Selbst wenn die Erweichung der iranischen Position in Verhandlungen mit den USA als Rechtfertigung für das gegenwärtige Desaster erscheinen sollte, ist nicht davon auszugehen, dass sich die Iraner angesichts der erlittenen schmerzenden nationalen Schmach beeilen werden zu kapitulieren. Die weitere Frage, warum Israel den Krieg gegen den Iran dann überhaupt initiiert habe, wehrt Rogel Alpher augenzwinkernd mit der Begründung ab, es seien nur zehn Fragen für das Interview verabredet worden.

Ungeachtet der Frage, ob alle Antworten, die Rogel Alpher auf die gestellten Fragen anbietet, ganz stimmen; sie stimmen m.E., aber die Dinge verändern sich ständig, und so sind sie teilweise als ad-hoc-Behauptungen zu verstehen. Gerade deshalb muss man freilich auf die von Alpher unbeantwortet gebliebene Frage eingehen: Warum hat Israel den Krieg gegen den Iran überhaupt initiiert? Gesagt werden muss zunächst, dass der Angriff auf Irans Nuklearanlagen schon seit langem im Luftraum des politischen Diskurses Israels herumschwirrt, ohne allerdings in eine aktive Militäroperation übersetzt zu werden.

Im Gegensatz zur Bombardierung des irakischen Atomreaktors im Jahr 1981 (unter Menachem Begin) und zum Luftangriff auf die syrische Nuklearanlage im Jahr 2007 (unter Ehud Olmert) hat Netanjahu Irans Nuklearbestrebungen sehr früh zu einem zentralen Thema seiner Außenpolitik erhoben, gebärdete sich mithin als “Mister Sicherheit”, erging sich aber diesbezüglich primär in theatralischen Reden vor dem US-Kongress oder der UNO-Vollversammlung, immer mit einem Event-Gimmick ausgestattet und stets die unmittelbare Bedrohung durch die “kurz vor der Herstellung stehende iranische Atombombe” im Brustton der Überzeugung trompetend. Soweit gedieh die Diskrepanz zwischen der nie zur Ruhe gelangenden Heraufbeschwörung der akuten Gefahr und der dezidierten Unterlassung der aus der Bedrohung zu ziehenden praktischen Konsequenz, dass man Netanjahu der Zögerlichkeit und der Unfähigkeit, nötige Entschlüsse zu fassen, zieh. Die Wohlwollenden maßen ihm zwar Gewaltscheu und die Präferenz politischer Verhandlung bei; die rigoroseren Kritiker fanden einfach, dass er feige sei, mithin unfähig, Risiko einzugehen und Verantwortung zu übernehmen.

Aber es gibt eine weitere Möglichkeit zur Erklärung des nun doch erfolgten Entschlusses, den Krieg gegen Iran zu beginnen, und ich bin der Überzeugung, dass Rogel Alpher auf sie in seinem “enigmatischen” Kolumnenschluss zielte. Zur Erläuterung sei ein anderer wichtiger israelischer Journalist zitiert. In einem “Haaretz”-Artikel vom 16.6., schrieb Shlomi Eldar: “Nach der Kriegerklärung gegen Iran proklamierte Generalstabschef Eyal Zamir in einer dramatischen Verlautbarung, dass wir uns ‘in einem Abschnitt des Kampfes um unsere Existenz befinden, und dass die IDF eine Attacke gestartet hat, eine historisch präzedenzlose Kampagne’. Aber nach den großen Worten fügte er einen Satz hinzu, der in Erinnerung bleiben und vielleicht den ohnehin übermüdeten Augen der Israelis den Schlaf rauben sollte: ‘Ich verspreche euch, dass die IDF nur aus unmittelbarer, sachlicher und sicherheitsmäßiger Notwendigkeit handelt, und dass alle Entscheidungen nach reiflicher Überlegung getroffen werden’.

Ganz Israel war euphorisch, die Hybris auf ihrem Höhepunkt, innerhalb weniger Stunden trafen die Piloten der Luftwaffe in einem imposanten Eröffnungsschlag die obersten Militärränge in Teheran, und die politische und militärische Spitze verbreitete das Gefühl, dass die IDF im Besitz einer militärischen Lösung sei, die das iranische Nuklearprojekt zu liquidieren oder wenigstens dem, wovor Benjamin Netanjahu seit mehr als zwanzig Jahren warnt, einen entscheidenden Schlag zu versetzen vermag. Aber es sollten keine 24 Stunden nach dem ersten tödlichen Raketenbeschuss Israels vergehen, bis einige verstörende Tatsachen zutage traten, die weder der Generalstabschef, noch Verteidigungsminister Israel Katz noch der Premierminister den Bürgern Israels, die die Bürde von Schmerz, familiärem Verlust und Angst noch immer tragen, ehrlich eröffneten.”

Eldar erörtert dann die Tatsachen, dass Donald Trump nicht voll hinter Israel stehe; dass Israel nicht die militärische Kapazität besitze, die wichtigste Anlage der Uran-Anreicherung in seinem Nuklearprojekt zu zerstören; dass der Generalsstabschef sich ursprünglich geweigert habe, die Attacke ohne volle Unterstützung der USA zu starten; und dass man im Kabinett bereit gewesen sei, 800-4000 Ziviltote auf israelischer Seite bei einem Gegenschlag Irans in Kauf zu nehmen. Von besonderer Bedeutung ist indes folgende Anmerkung Eldars: “Die Verbindung zwischen dem Zeitpunkt der Attacke und dem Überlebenskampf der Regierung Netanjahu verriet offen der Sprecher des Ministerpräsidenten, Omer Dostri, der in einem Radiointerview sagte: ‘Wir waren uns der nahenden Attacke bewusst – das war ein gewichtiger Teil in unseren Bemühungen, die Auflösung der Knesset zu verhindern. Ich bin froh, dass wir darin erfolgreich waren.”

Das ist gelinde ausgedrückt. Was Rogel Alpher andeutet und Shlomi Eldar etwas deutlicher ausspricht, ist, was in Israel schon seit langem bekannt ist, und im Tumult des neuen Krieges (und in der Euphorie der militärischen Anfangserfolge) untergegangen ist: Das Fremdbestimmte an der Entscheidung, den Krieg zum jetzigen Zeitpunkt vom Zaun zu brechen, und zwar durch den größten Zögerer der israelischen Politik: Es war nicht zuletzt die Angst vor dem drohenden Machtverlust und dem mit ihm einhergehenden persönlichen Schaden, den Netanjahu zu erleiden hätte (die Errichtung einer staatlichen Untersuchungskommission über seine Verfehlungen am 7. Oktober und den Übergang des gegen ihn geführten Prozesses in eine entscheidende Phase).

Wie hier schon im Verlauf des Gaza-Krieges mehrfach dargelegt, hat Netanjahu keine Skrupel, seine persönlichen Interessen über die des Staates zu stellen. Die Verlängerung des Gaza-Krieges, der schon längst zweck- und sinnlos geworden ist, lag in ebendiesem persönlichen Interesse. Um die braucht er sich nunmehr nicht mehr zu kümmern – der der Aufmerksamkeit der Welt durch den Ausbruch eines neuen Krieges entglittene Gaza-Krieg verlängert sich gleichsam von selbst; die IDF operiert dort weiterhin ungestört in brutaler Vehemenz; die verbliebenen Geiseln in Hamas-Gefangenschaft sind nun endgültig verraten, selbst die Demonstrationen für sie in Israel sind erstorben, es herrscht ja wegen des Iran-Krieges ein offiziell verhängtes Versammlungsverbot.

Dass der amerikanische Geheimdienst (nach CNN-Bericht) eingeschätzt habe, Iran sei noch weit entfernt von der Entwicklung einer Nuklearwaffe, benötigte dafür mithin noch drei Jahre (was besagtem israelischer Dringlichkeitspostulat fundamental widerspricht), interessiert in Israel die allerwenigsten. Zu sehr ist man mit den Herausforderungen der iranischen Raketenschläge beschäftigt. Zu sehr ist wieder einmal die verlogene Manipulation der Bevölkerung gelungen, die sich freilich leicht manipulieren lässt, sobald die Kanonen donnern. Netanjahu selbst darf von nun an als “Churchill des 21. Jahrhunderts” (bzw. als “gottgesandten Retter Israels”, wie ihn eine Anhängerin bezeichnete) auftreten, den 7. Oktober und den verbrecherischen Gaza-Krieg hinter sich lassend.

Moshe Zuckermann 

Moshe Zuckermann wuchs als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv auf. Seine Eltern emigrierten 1960 nach Frankfurt am Main. Nach seiner Rückkehr nach Israel im Jahr 1970 studierte er an der Universität Tel Aviv, wo er am Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas lehrte und das Institut für deutsche Geschichte leitete. 2018 wurde er emeritiert.
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