Klagewelle: Muss die Scholz-Regierung Waffenexporte nach Israel stoppen? David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Genehmigung seinen neuen Telepolis Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen Evelyn Hecht-Galinski

Klagewelle: Muss die Scholz-Regierung Waffenexporte nach Israel stoppen?

Es ist die dritte Klage. Nicaragua und deutsche Anwälte-Gruppen verlangen Stopp von Militärexporten. Wie Israels Gaza-Krieg mit deutscher Hilfe betrieben wird.

Klagewelle: Muss die Scholz-Regierung Waffenexporte nach Israel stoppen?

Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Solidaritätskundgebung für Israel und gegen Antisemitismus. Bild: Timeckert / Shutterstock.com

Es ist die dritte Klage. Nicaragua und deutsche Anwälte-Gruppen verlangen Stopp von Militärexporten. Wie Israels Gaza-Krieg mit deutscher Hilfe betrieben wird.

Heute und morgen muss sich Deutschland wegen Beihilfe zu Völkermord vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) verantworten [1]. Nicaragua klagt die deutsche Regierung an, gegen die Völkermord-Konvention zu verstoßen.

Deutsche Waffen eingesetzt bei Völkerrechtsverletzungen?

Damit soll erreicht werden, dass Deutschland seine Waffenexporte nach Israel einstellt und die Finanzierung des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen UNRWA wieder aufnimmt.

Gleichzeitig hat eine deutsche Anwaltsgruppe gegen die Scholz-Regierung einen Eilantrag beim Berliner Verwaltungsgericht eingereicht [2]. Damit soll ebenfalls die Genehmigung von Kriegswaffenexporten nach Israel gestoppt werden. Die Anwälte klagen im Namen von Palästinensern in Gaza.

Es gebe Grund zu der Annahme, so das Juristen-Team, dass die Waffen für Völkerrechtsverletzungen wie Völkermord und Kriegsverbrechen eingesetzt werden. Man verweist dabei auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshof [3] (IGH) vom 26. Januar, der bereits vorläufig festgestellt hat, dass Israel im Gaza-Krieg plausibel Genozid begehe.

Verstoß gegen deutsches Kriegswaffenkontrollgesetz

Die Bundesregierung verstoße mit den Waffenlieferungen und Unterstützungsleistungen gegen Auflagen des deutschen Kriegswaffenkontrollgesetzes [4], so die Berliner Anwälte. Danach dürfen Waffenexporte nicht genehmigt werden, wenn der Empfängerstaat, in diesem Fall Israel, damit gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht verstößt.

Die Klage wird unterstützt von unterschiedlichen Organisationen, darunter European Legal Support Center, Palestine Institute for Public Diplomacy, Law for Palestine und Forensis.

„Da es Grund zu der Annahme gibt, dass diese Waffen eingesetzt werden, um schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen, wie z.B. Völkermord und Kriegsverbrechen, fordern die Antragsteller [Gaza-Bewohner], dass die deutsche Regierung ihr Recht auf Leben schützt“, heißt es in einer Presseerklärung der Unterstützergruppen [5].

Trotz weltweiter Empörung: Bundesregierung liefert weiter Waffen

Die Anwälte betonten auf einer Pressekonferenz am Freitag, dass Deutschland eine „verfassungsmäßige Verantwortung hat, menschliches Leben zu schützen“. Ahmed Abed, ein Anwalt, der palästinensische Familien in der Klage vertritt, sagte:

Die deutsche Regierung muss ihre Waffenexporte nach Israel stoppen, da sie gegen das Völkerrecht verstoßen. … Die Regierung kann nicht behaupten, dass sie sich dessen nicht bewusst ist.

Trotz der weltweiten Empörung über die israelische Kriegsführung in Gaza und der Missachtung Israels [6], den IGH-Anweisungen zu folgen, hält die Bundesregierung, wie auch die Biden-Regierung [7] in den USA, weiter daran fest, Israel militärisch zu unterstützen. Man verweist dabei auf die historische Verantwortung Deutschland, die sich aus der Zeit des Nationalsozialismus und dem Holocaust ergebe.

Insgesamt sind in Deutschland nun drei Klagen anhängig, die sich auf die Unterstützung Israels beim Krieg in Gaza beziehen. Schon im Februar verklagten Anwälte [8] einiger der gleichen Gruppen, die an der neuen Klage beteiligt sind, deutsche Regierungsvertreter, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wegen „Beihilfe“ zu Israels Völkermord in Gaza.

Die Kläger verweisen auf andere erfolgreiche Klagen. So entschied ein niederländisches Berufungsgericht am 26. Februar, dass die Lieferung von Ersatzteilen für die Kampfjets F-35 an Israel gestoppt werden muss.

Deutschland ist zweitgrößter Waffenlieferant für Israel

Zudem läuft, wie schon erwähnt, die Klage Nicaraguas am IGH gegen Deutschland, in der die Regierung beschuldigt wird, Israel beim Völkermord an den Palästinensern zu unterstützen.

Deutschland ist einer der größten Waffenlieferanten Israels. Die Organisation Forensis – eine Schwesterorganisation von Forensic Architecture – hat diverse Daten aus Regierungsdokumenten und Monitoring-Gruppen ausgewertet [9].

Nach dem im März veröffentlichten Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (Sipri) stammen 30 Prozent der israelischen Waffenimporte in der Zeit von 2019 bis 2023 aus Deutschland. 69 Prozent werden von US-Firmen bereitgestellt.

In diesen fünf Jahren hat Deutschland Exportgenehmigungen nach Israel für Rüstungsgüter im Wert von über 1,1 Milliarden Euro ausgestellt [10].

2023: Fast die Hälfte aller Waffen für Israel kommt aus Deutschland

Das ist eine bedeutsame Steigerung des deutschen Anteils. In der Zeit von 2003 bis 2008 machte der Anteil von Deutschland noch 3,5 Prozent aus, der der Vereinigten Staaten betrug damals 96 Prozent.

Im Jahr 2023 genehmigte die deutsche Regierung schließlich Waffenexporte nach Israel im Wert von 326,5 Millionen Euro, eine Steigerung um das Zehnfache im Vergleich zum Vorjahr, wobei ein großer Teil davon nach dem 7. Oktober 2023 genehmigt wurde.

Damit ist Deutschland im letzten Jahr verantwortlich gewesen für 47 Prozent der nach Israel importierten „großen konventionellen Waffen“ (vor allem im Zuge des Gaza-Kriegs genehmigt). Darin enthalten sind zwei Korvetten der Sa’ar-6-Klasse (Kriegsschiffe) sowie von Raketen und Motoren für Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge.

Unterstützung für Hilfswerk gestoppt

Die Anwälte-Koalition schreibt [11] auf Grundlage der Forensis-Studie:

Aktuell unterstützt die Bundesregierung die israelische Armee, indem sie die Lieferung von 3.000 tragbaren Panzerabwehrwaffen, 500.000 Schuss Munition für Maschinengewehre, Maschinenpistolen oder andere voll- oder halbautomatische Schusswaffen sowie weiteren Rüstungsgütern genehmigt. Anfang 2024 hat die Bundesregierung die Exportbewilligung von 10.000 Schuss Panzermunition geprüft. Außerdem genehmigte Deutschland Israel die Nutzung von zuvor geleasten Heron TP-Kampfdrohnen.

Deutschland exportiert aber nicht nur Waffen nach Israel. Man hat auch die Finanzierung für das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) gestoppt [12]. Diese Entscheidung folgte unmittelbar auf Israels nicht belegte Anschuldigungen [13] gegen die UN-Organisation, dass zwölf der 13.000 Mitarbeiter des Hilfswerks an den von der Hamas angeführten Angriffen auf Israel am 7. Oktober beteiligt waren.

Wird Schuld als politische Waffe eingesetzt?

Die deutsche Regierung hat die Hilfen für UNRWA ausgesetzt, während sich im Gazastreifen eine Hungersnot ausbreitet [14], da Israel den Zugang von humanitärer Hilfe in das Kriegsgebiet blockiert und behindert.

Die deutsche Regierung ist wegen der nahezu bedingungslosen Unterstützung Israels und der Repression von pro-palästinensischen Protesten international kritisiert worden [15].

Eine Reihe von Kritiker:innen ist dabei der Ansicht, dass Deutschland aus historischen Schuldgefühlen gegenüber dem Holocaust handelt, wobei die deutsche Regierung diese Schuldgefühle als Waffe einsetze [16], um Palästinenser und Israel-Kritiker zu diffamieren.

Am Freitag stimmte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mit 28 zu sechs Stimmen bei 13 Enthaltungen für eine Resolution [17], in der Israel aufgefordert wird, für mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Vereinigten Staaten und Deutschland waren die beiden größten Länder, die gegen die Maßnahme stimmten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9677891

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.spiegel.de/ausland/den-haag-nicaragua-wirft-deutschland-beihilfe-zum-voelkermord-vor-a-d0f2f70f-87a4-4f54-88a4-5537a3804484
[2] https://elsc.support/news/legal-action-to-stop-arms-exports-from-germany-to-israel
[3] https://www.telepolis.de/features/UN-Weltgericht-versetzt-Israel-einen-schweren-Schlag-USA-und-Europa-muessen-jetzt-handeln-9610575.html
[4] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/Ruestungsexportkontrolle/kriegswaffenkontrolle.html
[5] https://elsc.support/news/legal-action-to-stop-arms-exports-from-germany-to-israel
[6] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2024/02/israel-defying-icj-ruling-to-prevent-genocide-by-failing-to-allow-adequate-humanitarian-aid-to-reach-gaza/
[7] https://responsiblestatecraft.org/democrats-congress-israel-weapons/
[8] https://elsc.support/news/accountability-now-palestinians-sue-german-government-officials-for-enabling-the-genocide-in-gaza
[9] https://content.forensic-architecture.org/wp-content/uploads/2023/04/Forensis-Report-German-Arms-Exports-to-Israel-2003-2023.pdf
[10] https://content.forensic-architecture.org/wp-content/uploads/2023/04/Forensis-Report-German-Arms-Exports-to-Israel-2003-2023.pdf
[11] https://elsc.support/news/legal-action-to-stop-arms-exports-from-germany-to-israel
[12] https://www.commondreams.org/news/unrwa-says-iunrwa-t-is-at-a-breaking-point-due-to-funding-cutoffs
[13] https://www.commondreams.org/news/israel-dossier-unrwa
[14] https://www.telepolis.de/features/EU-Aussenbeauftragter-Borrell-Israel-setzt-in-Gaza-Hunger-als-Kriegswaffe-ein-9659129.html
[15] https://www.thenation.com/article/politics/germany-palestine-protest/
[16] https://jacobin.com/2023/11/germany-weaponizing-historical-guilt-demonize-israel-critics-holocaust-antisemitism-palestine-war
[17] https://twitter.com/UN_HRC/status/1776167214678159575?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1776167214678159575%7Ctwgr%5Ea5f428c6ea09c11e3c22f37821a660db93961091%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.commondreams.org%2Fnews%2Fgermany-israel

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