Omri Boehms Ausladung Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann für seine Genehmigung seinen neuen, heute auf overton-magazin publizierten Artikel, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

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Omri Boehms Ausladung


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Omri Boehm im Gespräch mit Jo Schück auf der Leipziger Buchmesse 2024. Bild: Dirk Bindmann/CC BY-SA-4.0

Ausladung von eingeladenen Rednern als Erinnerungspolitik scheint mittlerweile zum gängigen Muster in Deutschland geronnen zu sein. Ein Aspekt wurde beim neuen Eklat nicht gebührend erörtert.

 

Der Philosoph Omri Boehm wurde eingeladen, bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald eine Rede zu halten. Er wurde aber dann vor der Gedenkfeier wieder ausgeladen. Warum? Weil, wie es im SPIEGEL hieß, “die israelische Botschaft die Einladung Boehms für ‘empörend’ hielt, für eine ‘eklatante Beleidigung des Gedenkens an die Opfer’”. Öffentlich habe man das allerdings erst gesagt, nachdem über die Vorgänge berichtet worden war. Welchen Grund hatte, die israelische Botschaft, sich über die Einladung Boehms zu empören? Weil Boehms Gedenkphilosophie die Menschenrechte für universell erachtet, und dies – die Universalisierung der Menschenrechte – relativiere die Singularität der Shoah, unterwandere mithin ihr einzigartig Jüdisches. Man wundert sich, dass das heute noch zum Gegenstand eines Eklats erhoben (bzw. erniedrigt) werden kann. Denn es handelt sich, genau genommen, um einen alten Hut.

Man denke da an das Naheliegendste, Adornos bekanntes Diktum: “Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.” Die Einzigartigkeit des Geschehenen ist, so besehen, als ein Allgemeines zu denken, namentlich als Kulminationspunkt einer “nach weltgeschichtlichem Maß” angelegten Permanentbedrohung.

Dass, wie Adorno meint, “in den Lagern nicht mehr das Individuum starb, sondern das Exemplar”, somit also der nazistische Völkermord “die absolute Integration” veranstaltete, ist demnach als Symptom einer welthistorischen Entwicklung, darüber hinaus aber auch als die Universaldiagnose einer Zivilisation mit dem steten Potenzial eines Rückfalls in die Barbarei zu verstehen. Daher der Auftrag – der von Adorno sogenannte “neue kategorische Imperativ” –, dass das einzigartig durch Auschwitz als Maßstab Gesetzte sich nicht wiederhole, nichts diesem Maßstab sich auch nur Näherndes, “nichts Ähnliches”, geschehe.

Abgesehen von der großen Frage, welche Gesellschaft zu errichten wäre, damit die wesentlichen “Bedingungen” für einen solchen Rückfall in die Barbarei ein für alle Mal ausgemerzt würden, wird hier auch eine Forderung an die Menschen “im Stande ihrer Unfreiheit” erhoben: ihr Denken und Handeln stets gegen mörderische Unterdrückung, gegen die systematische Verursachung von immer neuen Opfern zu richten.

Paradigmatisch kann man in diesem Zusammenhang auf die von Yehuda Elkana im Jahr 1988 erhobene Gegenüberstellung zweier aus der Shoah sich für Juden ableitenden “Lehren” zurückgreifen: Die kategorische Forderung “Es soll nie wieder passieren” versus das einschränkende Postulat “Es soll nie wieder uns passieren.” Nicht von ungefähr sprach Elkana diese Dichotomie gerade zum damaligen Zeitpunkt an: Er interpretierte viele der in Israel vorherrschenden Ideologeme, darunter auch solche, die zu brutalen Ausschreitungen israelischer Soldaten gegen Intifada-Aufständische führen mochten, als Auswüchse einer tiefverwurzelten existentiellen Angst, welche die zweite “Lehre”, nämlich die, dass es nie wieder uns passieren darf, fortwährend speist.

Dass Elkana hieraus die m.E. nicht zu verwirklichende Schlussfolgerung zog, man möge den Holocaust ganz aus dem israelischen politischen Diskurs eliminieren (und in diesem Sinne “vergessen”), ändert nichts an der von ihm vorgegebenen, höchst bedeutenden Gegenüberstellung von partikularer und universaler Rezeption von Auschwitz. Denn insofern Elkana in dem ihn antreibenden Impuls und der von ihm erstellten Diagnose recht hatte, bedeutet das letztlich nichts anderes, als dass die kodifizierte Erinnerung an den Völkermord Auschwitz instrumentalisiere, mithin das leichterdings verkürzte Andenken an die Shoah diese zu heteronomen ideologischen Zwecken zu missbrauchen vermag; dass also die partikulare Rezeption der weltgeschichtlichen Katastrophe die Funktionalisierung des Andenkens der Opfer zur Erzeugung immer neuer Opfer zur Folge haben kann.

Das alles ist über Jahrzehnte bereits tiefergehend erörtert worden. Es sei Omri Boehm dennoch als Verdienst angerechnet, den Diskurs wieder aktualiter “aufgefrischt” zu haben. Man kann die diesem Diskurs innewohnende Grundproblematik, die sowohl abstrakt Philosophisches als auch politisch Pragmatisches zum Inhalt hat, nicht oft genug in Erinnerung rufen.

Eines ist beim aktuellen Eklat der Ausladung allerdings unerörtert geblieben (bzw. nicht deutlich genug erörtert worden). Denn es stellt sich die Frage, mit welchem Recht und auf welcher Grundlage die israelische Botschaft meint, sich in die Wahl der Redner bei einer Veranstaltung einer deutschen Gedenkstätte einmischen zu dürfen. Wer hat sie dazu bevollmächtigt? In wessen Namen trägt sie ihr Bedenken vor?

Es ist schon aberwitzig genug, die Universalisierung der Shoah-Erinnerung als eine Relativierung der Erinnerung zu begreifen; aber man sollte sich, wenn man sich schon derlei herausnimmt, stets bewusst machen, wer da den kritischen Ankläger spielt (und bei “verantwortlichen Deutschen” ein nahezu reflexartiges Erschrecken und den Rückzug hervorruft): Israel? Das Israel des Jahres 2025? Ein Land ist es, das seine politische Kultur zum ungezügelten Spielfeld der Banalisierung des Holocaust-Gedenkens und dessen fortwährenden Instrumentalisierung zu fremdbestimmten Zwecken hat verkommen lassen. Ein Land, das im gegenwärtigen Krieg (besonders in diesem) unzählige Kriegsverbrechen und zahllose Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Ein Land, dessen Parlamentarier sich einer Völkermord-Rhetorik befleißigen, mithin sein Premier und ehemaliger Verteidigungsminister des Genozids angeklagt werden. Ein Land, das autokratische Faschisten, Rassisten und selbst gestandene Antisemiten zur Kranzniederlegungen nach Yad Vashem einlädt. Ein Land, das seit Jahrzehnten ein barbarisches Okkupationsregime betreibt, und dabei die von ihm Unterdrückten entmenschlicht, entrechtet und entwürdigt. Ein Land, das blind geworden ist für das Leid der Anderen, sich dafür aber mit umso größerer Verve in permanenter Selbstviktimisierung ergeht. Ein Land, das den Anspruch erhebt, die Zufluchtsstätte für Juden in der Welt zu sein, diesen Anspruch aber nicht mehr erfüllen kann – nirgends auf der Welt ist der Jude mehr gefährdet, als gerade in dem ihm zugedachten Land der Juden. Und selbst entführte Geiseln, seine eigenen Staatsbürger, dürfen offenbar nicht mehr ihre Befreiung durch den Staat für selbstverständlich erachten – selbst ihre Befreiung ist mittlerweile in Israel des Jahres 2025 zum Politikum verkommen.

Wieso maßt sich da die israelische Botschaft an, die Wahl der Redner in einer deutschen Gedenkfeierveranstaltung (mit)bestimmen zu dürfen? Wenn der Staat Israel dieses Recht überhaupt je besaß, hat er es nunmehr verwirkt. Zu fragen bleibt da nur, warum sich deutsche Institutionen derlei Interventionen seitens der Botschaft gefallen lassen. Aber das ist schon eine Frage, die einer gesonderten Erörterung bedarf.

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