Wie Deutschland das Völkerrecht beugt, um weiterhin Waffen an Israel zu verkaufen

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Wie Deutschland das Völkerrecht beugt, um weiterhin Waffen an Israel zu verkaufen

Von Dorthe Engelcke, Hanna Pfeifer

28. November 2024

Berlin hat angeblich einen rechtlich sicheren Weg gefunden, Waffen nach Israel zu exportieren – ein Staat, dessen Handlungen es offen für völkerrechtswidrig hält

Demonstranten fordern vor dem Berliner Hauptbahnhof am 18. Oktober 2024 einen Stopp der Waffenverkäufe an Israel (Stephane Lelarge/AFP)

In einer Rede im Bundestag anlässlich des Jahrestages des 7. Oktober 2023 bestritt der Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Deutschland beschlossen hat, die Waffenlieferungen an Israel einzustellen.

Die Bundesrepublik habe solche Exporte getätigt und werde dies auch weiterhin tun. Wie die von der Bundesregierung veröffentlichten Daten zeigen, gab es jedoch zwischen März und August 2024 de facto ein Verbot für den Export von Kriegswaffen.

Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Positionierung und tatsächlicher Praxis offenbart zweierlei über die deutsche Rüstungsexportpolitik.

Erstens geht die Bundesregierung selbst davon aus, dass Israel in Gaza das humanitäre Völkerrecht bricht, und hat Vorkehrungen getroffen, um eine rechtliche Haftung zu vermeiden.

Zweitens wird die Debatte über die Legitimität von Rüstungsexporten in Deutschland eher von der Innenpolitik als von völkerrechtlichen Verpflichtungen oder Überlegungen zur Konfliktdynamik bestimmt.

 

Waffenlieferungen sind zu einem Test für das Bekenntnis der politischen Parteien zur deutschen Staatsräson geworden, der mehr oder weniger bedingungslosen Unterstützung des israelischen Staates im Namen seiner Sicherheit.

Gleichzeitig offenbart die Frage der Waffenexporte jedoch das unlösbare Spannungsverhältnis zwischen einer solchen Staatsräson und den rechtlichen Verpflichtungen Deutschlands.

Quasi-Exportverbot

Scholz‘ Aussage über kontinuierliche Waffenlieferungen ist nicht sachlich falsch – aber irreführend. Das Volumen deutscher Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter ist nach dem 7. Oktober stark gestiegen.

Im Jahr 2023 verzehnfachten sich die genehmigten Waffenexporte nach Israel im Vergleich zum Vorjahr, und über 80 Prozent der Lizenzanträge wurden nach dem 7. Oktober bewilligt. Das Genehmigungsvolumen für Kriegswaffen belief sich 2023 auf über 21 Millionen US-Dollar und für militärische Ausrüstung sogar auf 344 Millionen US-Dollar.

Allerdings war bereits ab November 2023 ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen, gefolgt von einem drastischen Einbruch bei den Exportlizenzen zu Beginn des Jahres 2024.

Das deutsche Exportrecht unterscheidet zwischen Kriegswaffen und anderen Rüstungsexporten. Bis März 2024 wurde der Export von Kriegswaffen in Höhe von nur 34.261 US-Dollar von der deutschen Regierung genehmigt, was 0,02 Prozent des jährlichen Durchschnitts der seit 2009 genehmigten Exporte nach Israel entspricht.

 

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Laut Regierung blieb diese Zahl zum 21. August 2024 unverändert. Auch zwischen Januar und Juni 2024 gab es keine tatsächlichen Exporte von Kriegswaffen nach Israel. Zwischen März und August dieses Jahres gab es daher ein Quasi-Exportverbot für Kriegswaffen nach Israel.

In letzter Zeit sind die Waffenexporte wieder gestiegen. Laut einem Bericht des Wirtschaftsministeriums wurden zwischen dem 21. August und dem 13. Oktober Rüstungsgüter im Wert von rund 33 Millionen Dollar genehmigt. Nur eine Woche nach diesem Bericht wurde diese Zahl vom Auswärtigen Amt nach oben korrigiert – es heißt nun, dass seit August Rüstungsexporte im Wert von 99 Millionen Dollar genehmigt wurden.

Zum 17. Oktober waren laut Wirtschaftsministerium noch keine Kriegswaffen darunter.

Die Trendwende bei den Rüstungsexporten ging mit einer Diskursoffensive des Außenministers und mehrerer Abgeordneter einher, die weiterhin behaupten, dass die Militäraktionen Israels Teil der Selbstverteidigung und Terrorismusbekämpfung seien und dass sie durch das Völkerrecht gedeckt seien.

Aber wie lässt sich der starke Rückgang der Genehmigungen im Jahr 2024 erklären und wie passt er zu den gleichzeitigen und ständigen öffentlichen Bekräftigungen des Engagements Deutschlands für Rüstungsexporte?

Vertragsverletzungen

Ein wichtiger Teil der Antwort sind die zahlreichen Gerichtsverfahren, in denen Israel wegen Verstößen gegen das Völkerrecht und Völkermord in Gaza angeklagt wird.

Staaten tragen eine sekundäre Verantwortung, wenn sie solche Verstöße materiell unterstützen.

Im Juni wies das Verwaltungsgericht Berlin eine Klage von Palästinensern auf Einstellung der Waffenlieferungen ab und verwies dabei auf den monatelangen deutschen Stopp von Kriegswaffenexporten nach Israel.

Ebenso wurde Nicaraguas Antrag auf ein Verbot deutscher Waffenexporte durch den Internationalen Gerichtshof (IGH) aus demselben Grund abgelehnt – Deutschland exportiert keine Kriegswaffen mehr. Der Völkermordprozess gegen Deutschland ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Neben dem südafrikanischen Völkermordprozess gegen Israel vor dem IGH haben diese Verfahren wahrscheinlich auch in Deutschland Bedenken hinsichtlich Vertragsverletzungen und Verpflichtungen im Rahmen des UN-Vertrags über den Waffenhandel (ATT) geweckt.

Genau gegen diese rechtlichen Risiken von Vertragsverletzungen, Verstößen gegen die sekundäre Verantwortung und die Pflicht zur Verhinderung von Völkermord hat die Bundesregierung in den letzten Monaten offenbar versucht, sich abzusichern.

Deutschland würde dann gegen seine Pflicht zur Verhinderung von Völkermord verstoßen, die ausgelöst wird, sobald es „Kenntnis von einer ernsthaften Gefahr hat, dass Völkermord begangen werden könnte“.

Am 13. Oktober berichtete die deutsche Presse, dass die Regierung Israel als Vorbedingung für weitere Waffenlieferungen zur Unterzeichnung einer Klausel gezwungen habe. Diese Klausel soll eine schriftliche Zusicherung der israelischen Regierung verlangen, dass deutsche Waffen nur im Einklang mit dem Völkerrecht eingesetzt werden – einigen Berichten zufolge sogar, dass „Waffenexporte aus Deutschland nicht für Völkermord eingesetzt werden“.

Der genaue Inhalt der Klausel ist nicht bekannt. Die Bundesregierung erklärte der israelischen Seite, dass ihr Beharren auf der Klausel kein Ausdruck von Misstrauen sei, sondern eine Maßnahme, um ein generelles Exportverbot zu verhindern. Gerichte könnten ein solches Verbot mit dem Argument verhängen, dass deutsche Waffen für völkerrechtswidrige Handlungen eingesetzt werden könnten.

Da die israelische Regierung diese Zusicherung offenbar gegeben hat, setzt die Bundesregierung darauf, nicht für israelische Kriegsverbrechen haftbar gemacht zu werden.

Die Berichte über die Klausel haben gezeigt, dass die deutsche Regierung von diesen Verbrechen weiß. Wenn die Klausel tatsächlich den Einsatz von Waffen für Völkermord ausschließen würde, würde die deutsche Regierung sogar in Betracht ziehen, dass ein Völkermord stattfindet – ebenso wie der Internationale Gerichtshof und einschlägige Völkermordexperten.

Deutschland würde dann auch gegen seine Pflicht zur Verhinderung von Völkermord verstoßen, „die ausgelöst wird, sobald es ‚Kenntnis von einer ernsthaften Gefahr hatte, dass Völkermord begangen werden könnte‘“.

Vorsätzlich getäuscht

Die Klausel bedeutet, dass die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Monaten bewusst getäuscht wurde. Anstatt ihre Zweifel an der Gewalt der israelischen Regierung in Gaza öffentlich zu machen, unterstützen deutsche Politiker die israelische Kriegsführung weiterhin bedingungslos.

Dieser Mangel an Transparenz untergräbt das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen und verstößt gegen die Grundprinzipien der demokratischen Ordnung. Er stellt auch einen schweren Verstoß gegen die Amtspflicht dar.

Nicht nur lassen Vertreter der deutschen Regierung den Vorwurf von Kriegsverbrechen gegen Israel regelmäßig unkommentiert, sondern die Bundesregierung behauptet auch immer wieder, sie habe keine Kenntnis davon, dass solche israelischen Kriegsverbrechen begangen wurden.

 

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Es wird auch bestritten, dass in Israel Völkermord verübt wird. Laut der Bundeskanzlerin ist der Vorwurf, Israel begehe im Gazastreifen Völkermord, „völlig unbegründet“.

Diese Aussagen sind nur schwer mit der tatsächlichen deutschen Rüstungsexportpraxis der letzten Monate in Einklang zu bringen.

Sie widersprechen auch den zahlreichen Berichten – einschließlich der von den Vereinten Nationen vorgelegten –, in denen wiederholt Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die israelische Armee festgestellt wurden.

Warum betreibt die Bundesregierung eine Politik, die darauf abzielt, die Öffentlichkeit zu verwirren? Dadurch wird der deutschen Bevölkerung vorgegaukelt, dass die Waffenlieferungen ohne Unterbrechung stattgefunden haben und auch völkerrechtlich unbedenklich sind.

Die Verwirrung ermöglicht es der Bundesregierung, öffentlich an ihrem Bekenntnis zur Staatsräson festzuhalten, Kritik aus der Opposition einzudämmen und die israelische Regierung weiterhin öffentlich und sichtbar zu unterstützen.

International sollte die Bedeutung dessen nicht unterschätzt werden, da Deutschland neben den USA einer der letzten verbliebenen lautstarken Unterstützer Israels ist, obwohl dieses eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt.

Der Versuch, sich mit bürokratischen Tricks völkerrechtlichen Verpflichtungen zu entziehen und sich auf Verfahrensfragen zurückzuziehen, lenkt von der eigentlich relevanten Frage ab, die nur politisch beantwortet werden kann: Will die deutsche Regierung eine israelische Regierung militärisch unterstützen, die nach einer wachsenden Zahl von Einschätzungen Gräueltaten begeht und die regionale Eskalation des Konflikts vorantreibt?

Die deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung beantwortet diese Frage mit Nein. In ähnlicher Weise haben über 4.000 Wissenschaftler und Künstler einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie die deutsche Regierung auffordern, ein Waffenembargo zu verhängen.

Das Thema Waffenexporte hat angesichts der jüngsten Entwicklungen erneut an Bedeutung gewonnen.

Die deutsche Regierung muss im Einklang mit dem Völkerrecht handeln und ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, die Bevölkerung über ihre Erkenntnisse zu informieren

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Die Reaktion der Bundesregierung war von Zögern und Unklarheit geprägt.

Ein Regierungssprecher erklärte, er könne sich nur schwer vorstellen, dass Netanjahu in Deutschland verhaftet würde, und verwies auf die Notwendigkeit, „die innerstaatlichen Maßnahmen zu überprüfen“. Anschließend betonte der Außenminister jedoch, dass „niemand über dem Gesetz steht“.

Eine Überprüfung der deutschen Rüstungsexportpolitik ist bisher nicht in die politische Debatte eingegangen – obwohl eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik in diesem Konflikt längst überfällig ist. Dazu gehört die sofortige Durchsetzung eines Waffenembargos.

Am Freitag wird eine bundesweite Pressekonferenz den Haftbefehlen des IStGH und der Rolle Deutschlands gewidmet sein und sich auch mit der Frage der vergangenen und zukünftigen Rüstungsexporte Deutschlands befassen.

Statt die eskalierenden Konflikte durch neue Rüstungsexporte weiter anzuheizen, sollte die Bundesregierung auf Deeskalation setzen. Dazu gehört die sofortige Durchsetzung eines Waffenembargos.

Ein solches Embargo ist auch eine logische Konsequenz der feministischen außenpolitischen Leitlinien, die sich das Auswärtige Amt selbst gesetzt hat.

Statt im Namen der Staatsräson eine mutlose Politik der blinden Solidarität und Waffenlieferungen fortzusetzen, muss die Bundesregierung im Einklang mit dem Völkerrecht handeln und ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, die Bevölkerung nach bestem Wissen und Gewissen über ihre Erkenntnisse zu informieren.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten gehören den Autoren und spiegeln nicht unbedingt die redaktionelle Politik von Middle East Eye wider.

Dörthe Engelcke ist kommissarische Leiterin des Kompetenzzentrums für das Recht arabischer und islamischer Länder am Max-Planck-Institut für vergleichendes und internationales Privatrecht. Sie promovierte in Orientalistik an der Universität Oxford. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Wechselwirkung von Recht, Politik und Geschlechterfragen in Westasien und Nordafrika.

Übersetzt mit Deepl.com

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