Deutsche Waffenlieferungen nach Israel, ein gekündigter Kurator und ein verbotenes Zimmer
Die Fassade, die Bundesregierung arbeite immer und überall für das Gute, muss längst durch vielerlei Verbote abgesichert werden. Denn die Wahrheit ist hässlich. Weshalb Versuche, sie zu verhüllen, und Strafen für jene, die sie aussprechen, Hand in Hand gehen.
Deutsche Waffenlieferungen nach Israel, ein gekündigter Kurator und ein verbotenes Zimmer
Von Dagmar Henn
Es ist eine gefährliche Falschheit, die Deutschland im Griff hat. Zwei Meldungen, die mehr oder weniger gleichzeitig erfolgten, illustrieren das extrem deutlich. Sie ergeben miteinander einen unangenehmen Missklang, eine Art Tinnitusgeräusch.
Die eine stammt von der Nachrichtenagentur AFP. Dieser Meldung zufolge sieht die neueste Version des Haushaltsentwurfs für 2024 aus dem Bundesfinanzministerium vor, dass die Bundeswehr kostenlos an Israel weiterreichen darf, selbst „wenn dies zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft und Aufgabenerledigung der Bundeswehr führt“, zumal „unter Verzicht auf Kostenerstattung“.
Das wurde bisher schon mit der Ukraine so getrieben und wird nun auf Israel erweitert. Nicht, dass diese Lieferungen an die Ukraine unschuldig wären; sie helfen einem na(r)zis(s)tischen Kiewer Regime, das eigene Land zu zerstören; dennoch, Beihilfe zu dieser israelischen Kriegsführung, der man dabei zusehen kann, wie sie Kinder mordet, ist noch einmal eine neue Qualität.
Die Verbindungen der deutschen Rüstungsindustrie nach Israel sind weit enger, als weithin bekannt ist. Und sie erstrecken sich nicht nur auf die Lieferung von U-Booten, die auch mit Kernwaffen bestückt werden können, diesen Waffen, die Israel offiziell gar nicht besitzt, mit denen aber ebenso gern öffentlich gedroht wird. Das Neue Deutschland hat gerade erst ausführlicher über diese Waffendeals geschrieben und unter anderem darauf hingewiesen, dass auch die israelischen Merkava-Panzer mit einer Antriebstechnik der Augsburger Firma Renk und einem Dieselmotor laufen, der von MTU entwickelt wurde „und über verschlungene Lizenzverträge im Merkava landete.“
Die übrigen Rüstungsexporte sind von 32 Millionen Euro im vergangenen Jahr auf bisher 303 Millionen in diesem Jahr gestiegen. Interessanterweise also bereits lange vor dem 7. Oktober. Was bestens zur Einschätzung von Pepe Escobar passt, der meint, die entscheidenden Verabredungen seien bereits Ende September bei einem Gespräch im Weißen Haus getroffen worden, bei dem Biden bzw. die Mannschaft hinter ihm der Regierung Netanjahu grünes Licht für eine Eroberung von Gaza erteilt habe. Der Hintergrund dafür seien zum einen die Pläne für eine Alternative zum Suezkanal, die in Gaza enden würde, und zum anderen die Erneuerung der Verträge über das Gasfeld vor Nordgaza, das Israel gern für sich hätte.
Nun wird also die Möglichkeit der Lieferung von Waffen ausgeweitet, und das auf eine Art und Weise, die möglichst der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Sicher, die Bundesregierung orientiert sich da an jener der Vereinigten Staaten, die auch nach außen hin mittlerweile zumindest so tut, als wäre sie halb für einen Waffenstillstand, könne aber in Tel Aviv nicht durchdringen; während tagtäglich die US-Transportflugzeuge mit Bombennachschub in Israel landen. Der Umgang mit den Minsker Vereinbarungen war von deutscher Seite schließlich auch nicht anders – die ganz realen Möglichkeiten, für ein anderes Verhalten zu sorgen, nämlich eine Verknüpfung jeglicher Unterstützung mit Bedingungen, wurden da auch nie genutzt.
Aber obwohl diese Geschäfte schon lange laufen, die deutschen mit Israel, hat es schon einen ganz besonderen Geschmack, jetzt, gerade jetzt, während die Welt erschüttert auf den Genozid blickt und angesichts der ungeheuren Zahlen ermordeter Kinder den Atem anhält, so ganz nebenbei und halb versteckt eben den Betreibern dieses Genozids den Schlüssel zur Waffenkammer zu überreichen. Als wäre es besonders wichtig, sich irgendwie an diesem Verbrechen noch beteiligen zu dürfen.
Und dann ist da die zweite Meldung. Sie stammt aus Essen, wo das Museum Folkwang in wenigen Tagen eine Ausstellung mit dem Thema „Wir ist Zukunft“ eröffnen wird. Ein Bestandteil dieser Ausstellung sollte ein Abschnitt über Afrofuturismus sein – also Kunst, die Zukunftsvisionen aus afrikanischer Sicht darstellt.
Gestern nun hat das Museum Folkwang dem Kurator dieses Abschnitts gekündigt. Anaïs Duplan, besagter Kurator, teilte das auf seinem Instagram-Account mit. Grund für die Kündigung? Ein paar propalästinensische Posts auf Instagram. Wie schrieb der Direktor des Museums Folkwang, Peter Gorschlüter?
„Diese Posts erkennen den terroristischen Angriff der Hamas nicht an und bewerten den israelischen Militäreinsatz in Gaza als Genozid.“
Was hat der Künstler/Kurator denn geschrieben, das so furchtbar war? Dies beispielsweise:
„Heute morgen, als ich die Nachricht hörte, dass alle Patienten der Intensivabteilung im Al-Shifa-Krankenhaus gestorben sind, setzte bei mir eine Panikattacke ein. (…) Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich mich online mit Plestia und Motaz unterhalte, und wir kicherten, aber dann fing ich an zu weinen und konnte nicht aufhören. Und als ich aufwachte, fühlte ich mich, als hätte ich geweint, aber es war mir nicht danach, weiter zu weinen, als ich einmal wach war.“
Duplan ist Dichter. Eine weitere Passage aus einem seiner Posts:
„Es gibt diese Augenblicke, in denen sich meine Wut in Hass verwandelt, einen unterschiedslosen Hass. Ich kann diesen Unterschied sinnlich wahrnehmen, und wann immer ich dorthin gerate, an diesen Ort, frage ich mich, ‚was will dieses Gefühl?‘, und es ist dazu da, sich weniger machtlos zu fühlen, all dies zu verhindern, und dann verwandelt sich der Hass sofort zurück in Wut, denn an einem Mangel an Nuancen ist nichts mächtig.“
Emotional, ja. Aber eine nachdenkliche Emotionalität, genau das, was den Weg zu wirklicher Menschlichkeit kennzeichnet. Und wie antwortet darauf das Museum Folkwang? Wohlgemerkt, wir reden hier von einer künstlerischen Zusammenarbeit, und das Thema dieser Zusammenarbeit, der Inhalt der erwähnten einjährigen Vorbereitungen, waren afrikanische Zukunftsvisionen…
„Durch die Veröffentlichung der Anmerkungen auf Ihrem Instagram-Kanal haben Sie uns in die Lage gebracht, dass man annehmen könnte, das Museum unterstütze antisemitische Tendenzen und Stimmen, die das Existenzrecht des Staates Israel in Frage stellen. (…) Daher haben wir entschieden, unsere Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung einzustellen.“
Duplan stammt aus Haiti. Jener karibischen Insel, die seit mehr als zweihundert Jahren dafür gestraft wird, dass es dort den Sklaven gelang, sich selbst zu befreien. Wenn man einen Punkt auf diesem Planeten sucht, an dem sich die ganze koloniale Geschichte ballt, all das Blut, die Misshandlung, das Elend, aber ebenso der Widerstand dagegen, in hundert verschiedenen Gestalten, dann ist das Haiti. Wenn man wissen will, wie der westliche Mainstream damit umgeht, muss man nur daran denken, dass die einzige Gestalt aus der haitianischen Kultur, die weltweit bekannt ist, die hundertfach aufgegriffen wurde, ausgerechnet der Zombie ist, der seelenlose, lebende Tote.
Wie sollte ein Künstler, der von dieser Insel stammt, anders auf das Grauen in Gaza reagieren als mit Mitgefühl für die Palästinenser? Welche Sicht auf die Welt außerhalb Europas zeigt Peter Gorschlüter, wenn er so tut, als hätte er plötzlich entdeckt, dass sein Kurator schwarz ist und damit gewissermaßen Agent des globalen Südens?
„Sie wollen das Kalb essen, aber das Blut nicht sehen. Sie sind zufriedenzustellen, wenn der Metzger die Hände wäscht, bevor er das Fleisch aufträgt.“
Zwei Sätze aus einem der wichtigsten Texte von Bertolt Brecht, Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Da ist der Punkt, an dem sich diese beiden Ereignisse berühren: Die Waffenlieferungen, die für eine ganz konkrete, materielle Unterstützung jener Handlungen stehen, die gerade Gaza in Schutt und Blut ertränken; für eine Komplizenschaft mit jenen Plänen des 20. September, womöglich gar ein Spekulieren auf einen Anteil der Beute (schließlich besteht ein unstillbarer Hunger nach Energie in Europa, seit dessen Regierungen so dumm waren, mit Russland zu brechen). Und auf der anderen Seite der feste Wille, das Blut an den eigenen Händen nicht wahrnehmen zu wollen.
In dem Märchen „Fitchers Vogel“ aus der Sammlung der Gebrüder Grimm gibt es ein verbotenes Zimmer. Die Heldin der Geschichte, die entführt/vermählt wurde, und nun in diesem einsamen Haus lebt, in dem „alles prächtig“ war, erhält von ihrem Gatten, als dieser verreist, die Schlüssel.
Sie geht durch das ganze Haus. Die Räume des Hauses „glänzten von Silber und Gold“, aber zuletzt musste sie doch das verbotene Zimmer öffnen.
„Aber was erblickte sie, als sie hinein trat: ein großes, blutiges Becken stand in der Mitte, und darin lagen tote zerhauene Menschen: daneben stand ein Holzblock und ein blinkendes Beil lag darauf.“
Erinnert das Haus nicht an den Westen? Immer wieder gibt es Momente, an denen dieses eine, verbotene Zimmer geöffnet wird, in dem sich die Rückseite der Pracht verbirgt. Und schon eilen willige Knechte herbei, wie Peter Gorschlüter, die die Tür wieder schließen wollen.
Aber das, was sich in diesem Zimmer verbirgt, das blinkende Beil auf dem Holzklotz, oder die deutschen Waffen, die nicht nur trotz, sondern geradezu wegen des Krieges, den die israelische Armee gegen Gaza führt, geliefert werden, sie lassen sich nicht dauerhaft verbergen.
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